Wir schreiben das Jahr 1994: Telefonate werden über das Wählscheibentelefon geführt, Daten auf Disketten abgespeichert, Filme über Video-Kassetten geschaut, Nachrichten über Fernschreibegeräte (Telex) übermittelt und in der Politik wird das Arbeitszeitgesetz eingeführt. Und heute, 26 Jahre später? Was von all‘ dem ist geblieben? Das Wählscheibentelefon wurde durch das Smartphone ersetzt, Disketten durch USB-Sticks und Video-Kassetten durch DVDs und Streaming-Dienste abgelöst. Nur eins ist geblieben: das Arbeitszeitgesetz. Und damit ein Gesetz, das aus einer Zeit stammt, in der nur 0,9% der Menschen in Deutschland das Internet benutzten. Während die technische Entwicklung fortschritt und Arbeitsprozesse digitalisiert wurden, ist die Zeit beim Arbeitszeitgesetz stehengeblieben. Im digitalen Zeitalter haben wir noch immer ein Arbeitszeitgesetz aus dem analogen Zeitalter. Mit der Arbeitsrealität in Deutschland hat das wenig zu tun. Und so können viele Arbeitnehmer in Deutschland am heutigen „Mach-Früher-Feierabend-Tag“ nicht früher Feierabend machen – sie sind gefangen in den Fesseln der starren Arbeitszeitregelungen.
Täglicher Rechtsbruch aufgrund starrer Arbeitszeitgesetze
Nach dem Arbeitszeitgesetz (§3) darf die tägliche Arbeitszeit acht Stunden bzw. unter bestimmten Voraussetzungen zehn Stunden nicht überschreiten. Die Arbeitnehmer sind nach Beendigung ihrer täglichen Arbeitszeit verpflichtet, „eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden“ (§5) einzulegen. Doch was bedeutet dies für die gelebte Praxis? Ein Beispiel: Sie unterbrechen am Nachmittag ihre Arbeitstätigkeit, um ihr Kind von der Kita abzuholen. Am Abend um 22.30 Uhr beantworten Sie dann noch ein paar berufliche Mails. Beachtet man die 11 Stunden Ruhezeit, so dürfen Sie am nächsten Tag nicht vor 9.30 Uhr anfangen zu arbeiten. Tun Sie es doch, verstoßen Sie gegen das Arbeitszeitgesetz. Und genau das geschieht nahezu täglich in Deutschland. Dabei zeigt das Beispiel: Eine flexiblere Arbeitszeitreglung könnte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Wird das Arbeitszeitgesetz jedoch nicht modernisiert, so bleibt der tägliche und millionenfache Rechtsbruch Teil der Arbeitswirklichkeit in Deutschland.
Ganze Branchen leiden unter den Regelungen – das Beispiel Gastronomie
Von einer Modernisierung des Arbeitszeitgesetzes würden jedoch nicht nur die Arbeitnehmer profitieren, auch die Arbeitgeber und ihre Betriebe gewinnen an Wettbewerbsfähigkeit. Ein Beispiel aus dem Alltag der Gastronomie: Eine große Geburtstagsfeier steht am Abend bevor. Der Aufbau für die Veranstaltung beginnt am späten Nachmittag um 16 Uhr. Es entwickelt sich ein munterer Abend, an dem die Gäste bis früh in die Morgenstunden feiern möchten. Doch eine kurzfristige – der Entwicklung des Abends angepasste – Verlängerung der Feier ist nicht möglich, denn das Arbeitszeitrecht schreibt vor: Spätestens um zwei Uhr nachts muss der Gastwirt an diesem Abend schließen. Dies führt dazu, dass viele Gastwirte Veranstaltungen mit einer Arbeitsdauer von über zehn Stunden nicht mehr annehmen können und Umsatzeinbußen in Kauf nehmen müssen. Denn wer kann schon immer auf die Stunde genau das Ende einer Veranstaltung vorhersagen? Ein weiterer Faktor: Die starren Arbeitszeitmodelle verschärfen den Fachkräftemangel in der Branche. Möchte sich ein Arbeitnehmer, der am Freitagvormittag von 9 bis 15 Uhr gearbeitet hat, am Abend durch einen Nebenjob im Restaurant etwas hinzuverdienen, so bremst ihn das Arbeitszeitgesetz aus. Für die Gastronomie stehen somit weniger Arbeitskräfte zur Verfügung und der Arbeitnehmer, der (mehr) arbeiten möchte, wird daran gehindert. Die Folge: Mehr Schließtage und verkürzte Öffnungszeiten in der Gastronomie einhergehend mit einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Warum aber passen wir die Arbeitszeit nicht an Tag und Veranstaltung an? Möchten Gäste länger bleiben und der Gastwirt mehr Umsatz generieren, sollte das möglich sein. Dafür schließt das Restaurant dann an einem anderen Tag mit weniger Gästeaufkommen früher. Eine von der Krise gebeutelte Branche wie die Gastronomie darf nicht weiter durch Gesetze von gestern ausgebremst werden..
Das passende Arbeitsmodell für jeden statt das eine Arbeitsmodell für alle
Wie könnte ein modernes Arbeitszeitgesetz aussehen?
Vorweg sei betont, dass es uns als FDP/DVP Fraktion keineswegs darum geht, Arbeitszeiten zu erhöhen oder Ruhephasen zu streichen. Uns geht es um mehr Flexibilität, um ein an den Anforderungen unserer Zeit und der digitalisierten Arbeitswelt angepassten Rechtsrahmen. Wir möchten den Arbeitnehmern und -gebern mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung der Arbeitszeit einräumen. Wir glauben nicht, dass es ein Arbeitsmodell gibt, wie das Neun-bis-Fünf-Modell, das für jeden Arbeitnehmer die beste Lösung ist. Wir möchten, dass es individuelle Möglichkeiten gibt. Dem zugrunde liegt unser Vertrauen in die Menschen, der Glaube an mündige und selbstbestimmte Beschäftigte, denen wir zutrauen, selbst zu wissen, wann und wie sie am besten arbeiten können. Wir schlagen vor, statt einer Tageshöchstzeit eine Wochenhöchstzeit festzulegen, d.h. eine maximale Arbeitsstundenzahl pro Woche, sowie eine Lockerung der 11-Stunden-Pausenregelung. Die Arbeitszeit kann sich der Arbeitnehmer flexibel und ergebnisorientiert einteilen bzw. orientiert sich an dem Bedarf des Arbeitgebers. Gastwirte könnten den Service so je nach Gästeaufkommen flexibel verlängern oder auch verkürzen. In einer lauwarmen Sommernacht kann der Biergarten dann auch einmal länger öffnen. Kurzum: Niemand soll mehr Stunden arbeiten oder weniger Pausen machen als bisher. Die Wochenhöchstarbeitszeit möchten wir nicht antasten. Es soll aber die Möglichkeit einer freieren Einteilung geben. Hinzu kommt: Der Organisations- und Kontrollaufwand der Betriebe ist höher, wenn eine Tageshöchstarbeitszeit eingehalten werden muss. Arbeitszeitflexibilisierung ist somit auch Bürokratieabbau
Landesregierung muss sich für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten starkmachen
Um den Bedürfnissen der Arbeitnehmer und –geber in einer digitalisierten Welt gerecht zu werden, muss das Arbeitszeitgesetz daher umgehend modernisiert werden Wir brauchen an der Praxisrealität der Menschen orientierte gesetzliche Rahmenbedingungen. Hierzu fordern wir die Landesregierung auf, sich mit einer Bundesratsinitiative für eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes einzusetzen. Dies stärkt die Selbstbestimmung der Arbeitnehmer und verbessert zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer. Auch sollte das Land bei mobilen Arbeitsformen vorangehen und als Vorreiter die Chancen digitaler Möglichkeiten nutzen, indem es Landesbedienstete bei nicht ortsgebundenen Tätigkeiten ein Recht auf Homeoffice ermöglicht. Lösen wir uns also von starrem Strukturdenken und ebnen wir den Weg für ein modernes, an die Zeit und Lebenswirklichkeit der Menschen angepasstes Gesetz. So wird der „Mach-Früher-Feierabend-Tag“ zur gelebten Arbeitswirklichkeit.