Pressemitteilung

27.April 2008

Goll: Ängste und seelische Belastung bei Opfern von Straftaten abbauen

Beim Täter-Opfer-Ausgleich dürfte Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft sein – „Der Täter-Opfer-Ausgleich eröffnet Handlungsfelder, die das klassische Strafverfahren nicht bieten kann. Opfern von Überfällen ist es oft ein dringendes Bedürfnis zu erfahren, warum sich die Tat gerade gegen sie richtete. Hier kann eine unmittelbare Begegnung mit dem Täter hilfreich sein. Die anonyme Bedrohung bekommt ein Gesicht und eine Stimme.“ Dies sagte der stellvertretende Ministerpräsident und Justizminister Prof. Dr. Ulrich Goll (FDP) auf dem Liberalen Rechtstag im Landtag.

. Der FDP/DVP-Fraktionsvorsitzende Dr. Ulrich Noll forderte, dass die Opfer von Straftaten nicht allein gelassen werden, „weil sonst unser Rechtssystem auf Dauer immer weniger akzeptiert wird“. Es sei erfreulich, dass sich in der Justiz immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt habe, die Rechte des Opfers aufzuwerten. Nach den Worten des Justizministers hilft es den Opfern am meisten, wenn sich der Täter mit seiner Tat auseinandersetze, den angerichteten Schaden wieder gutmache und sich persönlich entschuldige. „In einem moderierten Gespräch ist Raum für Kon-fliktaufarbeitung und Wiedergutmachung, manchmal sogar für eine echte Befriedung der Situation“, so Goll. Entgegen der landläufigen Meinung stehe bei Opfern einer Straftat keineswegs immer der Wunsch nach einer harten Bestrafung des Täters im Vordergrund. Dies sei regelmäßig nur bei schweren Straftaten der Fall, die mit gravierenden, oftmals andauernden Beeinträchtigungen für das Opfer verbunden seien. „Meist dominieren andere Wünsche und Bedürfnisse. Der Verletzte will ernst genommen und als Opfer einer Straftat anerkannt werden. Gleichzeitig besteht der Wunsch nach Sicherheit“, so der Minister. Das Geschehen solle sich nicht wiederholen, das Opfer möchte in die Normalität seines bisherigen Lebens zurückkehren können. Einen hohen Stellenwert haben auch das Bedürfnis nach Wiedergutmachung und Ersatz des erlittenen Schadens. „Dem Opfer wird signalisiert, dass ihm kein Unglück widerfahren ist, sondern Unrecht getan wurde. Dies kann dazu beitragen, Ängste und seelische Belastungen abzubauen und dem Opfer das Vertrauen in die persönliche Sicherheit zurückzugeben“, sagte Goll. Schon die Bereitschaft des Täters, sich dem Täter-Opfer-Ausgleich zu stellen, lasse oftmals das schwer erträgliche Empfinden schwinden, permanent einer nicht greifbaren, allgegenwärtigen Gefahr ausgesetzt zu sein.Im Idealfall stelle der Täter-Opfer-Ausgleich eine „win-win-Situation“ dar, so der Minister. Alle Beteiligten könnten von seiner Durchführung profitieren: Den Bedürfnissen des Opfers werde Rechnung getragen, indem es nicht auf seine Zeugenrolle reduziert werde. Der Täter sei gezwungen, über seine Tat und deren Folgen für das Opfer nachzudenken. Gleichzeitig könne er durch sein Bemühen um einen Ausgleich mit dem Verletzten eine Strafmilderung erreichen oder eine Verurteilung ganz abwenden. Gemessen an der Anzahl der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen Erwachsene ist die Zahl der Aufträge für einen Täter-Opfer-Ausgleich noch gering. Im Jahr 2006 standen 1.253 Aufträgen 401.747 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegenüber. „Das Potential des Täter-Opfer-Ausgleichs dürfte noch lange nicht ausgeschöpft sein“, stellte Goll fest. Der rechtspolitische Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion, Dr. Hans-Peter Wetzel, der den Liberalen Rechtstag moderierte, sagte, nach dem Einstieg der „Neustart gemeinnützige GmbH“ sei der Täter-Opfer-Ausgleich in Baden-Württemberg auf einem guten Weg. Der Vertrag zwischen Land und Neustart vom 1. Januar 2007 sehe die landesweite „Durchführung von Bewährungshilfe, Gerichtshilfe und Täter-Opfer-Ausgleich“ vor. Der Landesvorsitzende des Weißen Rings e. V. Baden-Württemberg, Gosbert Müller, sagte: „Die Allgemeinheit erwartet vom Recht setzenden und Recht sprechenden Staat Gerechtigkeit und Genugtuung, und Opfer erwarten eine gerechte Strafe für den Täter und Wiedergutmachung. Was sonst?“ Die Rolle des Verletzten werde auch heute noch weithin auf seine Funktion als Zeuge und Beweismittel verkürzt. Die Wiedergutmachung spiele im Strafprozess eine eher geringe Rolle und werde in den Bereich des Zivilrechts verwiesen. Die Trennung zwischen Straf- und Zivilrecht führe dazu, dass der Konflikt zwischen Täter und Opfer im Strafprozess nicht aufgearbeitet werde. Nachdem im Rahmen des Verbrechensbekämpfungsgesetz im Jahr 1994 im Strafrecht der Täter-Opfer-Ausgleich (§§ 46a StGB, 153a StPO) eingeführt wurde, lasse sich allerdings feststellen, dass der Täter-Opfer-Ausgleich als „freiwillige soziale Konfliktverarbeitung eine echte Alternative zu den herkömmlichen strafrechtlichen Reaktionen darstellt“. Dabei müsse aber der Anschein vermieden werden, dass das ausgleichbereite Opfer nur zum Vorteil des Täters benutzt wird. „Das Genugtuungs-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungsinteresse des Opfers darf nicht zu kurz kommen“, so Müller.„Wir stellen hohe Ansprüche an eine Vermittlung, Beschwerden von Opfern wären der Totengräber des Täter-Opfer-Ausgleichs. Im Idealfall ist dieses Verfahren der dritte Weg zwischen Härte und Milde in der Strafprozessordnung“, sagte Gerd De-lattre, Vertreter des „Servicebüro für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung“ in Köln. Es habe sich in der Praxis erwiesen, dass die Bereitschaft eines Täters ein Bußgeld zu bezahlen höher sei, wenn er sich dem Täter-Opfer-Ausgleich unterziehe. Sehr wichtig sei auch der „Respekt vor dem Nein“ des Opfers. Georg Zwinger, Geschäftsführer von Neustart nannte als Empfehlungen für die Beauftragung eines Täter-Opfer-Ausgleichs folgende Delikte: Häusliche Gewalt, Straftaten im sonstigen sozialen Nahraum, Körperverletzung, Beleidigung, Bedrohung, Nötigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und Erpressung. Auf einen Täter-Opfer-Ausgleich sei nicht hinzuwirken, wenn die zu erwartende Strafe einen TOA ausgeschlossen erscheinen lässt oder die Verweisung des Ermittlungsverfahrens auf den Privatklageweg ohnedies angezeigt ist. Der Auftrag für den Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs in Baden-Württemberg laute, „die Leistungsmenge von Januar 2008 bis Ende 2016 zu verdoppeln. Im Jahr 2007 habe es 483 Aufträge mit 525 Tat-verdächtigen und 551 Opfern, im Gesamten also mit 1076 Klienten gegeben. Nach Abschluss des derzeit laufenden Lehrgangs könne Neustart im Land 40 qualifizierte Konfliktregler und Konfliktreglerinnen einsetzen. Die Auftragszahlen für den Täter-Opfer-Ausgleich aus den ersten drei Monaten dieses Jahres ließen einen Anstieg im Land um 50 Prozent gegenüber 2007 erwarten.Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger sah im Täter-Opfer-Ausgleich „viel Positives“ und lobte die „exzellente Arbeit“ der in diesem Bereich arbeitenden Vereine. Allerdings sei dieses Verfahren „kein allein selig machender Königsweg“. Wichtig sei, im Auge zu behalten, wie der Täter-Opfer-Ausgleich von den Bürgerinnen und Bürgern beurteilt werde. Der Ausgleich müsse eine kommunikative und inhaltliche Auseinandersetzung sein und in keinem Fall ein Deal. Ungeeignet sei der Täter-Opfer-Ausgleich, wenn er gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers stattfinde, wenn der der Täter nicht geständig sei, bei körperlichen Auseinandersetzungen, wenn sich eine alleinige Täterschaft nicht einwandfrei ermitteln ließe. Erfreulich ist aus der Sicht des Generalstaatsanwaltes, dass der Täter-Opfer-Ausgleich bei häuslicher Gewalt angewendet werde und diese Delikte nicht mehr in die Privatklage verwiesen würden. „Auch im häuslichen Bereich darf der Staat nicht wegschauen, vor allem, weil es im Laufe einer ständigen Auseinandersetzung auch zu Tötungsdelikten kommen könne. Er forderte Neustart auf, bei den Staatsanwälten noch mehr für den Täter-Opfer-Ausgleich zu werben. Hans Ilg, Pressesprecher

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