Haußmann: Null-Retaxationen müssen abgeschafft werden
„Die aktuelle Lieferengpass-Situation bei Medikamenten zeigt, dass eine bundesweite Verstetigung der SARS-COV 2 Abgaberegelungen für die Apotheken enorm wichtig wäre, um die stringenten Retaxationen zu untersagen“, so Jochen Haußmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion. Während der COVID-19-Pandemie wurden Ausnahmeregelungen getroffen, die gezeigt hätten, dass den Apotheken im Land mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsgewalt eingeräumt werden könne. „So war es während dieser Zeit beispielsweise möglich, Medikamente anderer Hersteller als Alternativen zum verschriebenen Rezept oder auch Teil-Mengen von bereits geöffneten Verpackungen herauszugeben. Die Apothekerinnen und Apotheker hatten nicht zu befürchten, dass sie wegen der Retaxierung, sprich dem Ausbleiben der Vergütung durch die Krankenkassen, keine Erstattung bekommen und auf den Kosten sitzen bleiben“, ergänzt Jochen Haußmann. Diese Ausnahmeregelungen sind allerdings zum 07. April 2023 ausgelaufen.
Auf Bundesebene wird derzeit ein neuer Gesetzentwurf eines Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) beraten. Die während der Pandemie gelockerten Abgaberegeln in den Apotheken sollen hier nur teilweise verstetigt werden. Konkret dürfen die Apotheken bei nicht-vorrätigen Arzneimitteln von Rabattverträgen abweichen und ein vorrätiges, wirkstoffgleiches Medikament abgeben – auch ohne vorherige Rücksprache mit dem Arzt. Allerdings gilt dies nur für Arzneimittel, die auf der Engpass-Liste des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stehen. Diese Liste spiegele aber kaum die Engpass-Situation in den Apotheken wider und erfasse zudem auch ein Großteil von Kinder-Medikationen nicht. Haußmann: „Damit werden die Apotheken nicht nur mit zusätzlicher unnötiger Bürokratie belastet, nein es steigt auch das Risiko auf Retaxationen weiter an.“
Jochen Haußmann hat zu den Auswirkungen von Retaxationen auf die Arzneimittelversorgung in Baden-Württemberg einen Berichts-Antrag an das Sozialministerium gestellt. Fragwürdig sind für ihn die Antworten des Sozialministers Manfred Lucha auf die Frage zur Höhe der Retaxationen und Null-Retaxationen. Der Minister gibt an, dass bei einer der größten Krankenkassen die Abrechnungskürzungen in den letzten fünf Jahren bei 11.195,60 Euro lagen. Die Realität sieht anders aus, bestätigt Christoph Gulde, Besitzer der Solitude Apotheke in Stuttgart. „Ich selbst habe in meiner Apotheke im Schnitt acht Retaxationen im Monat über ein Volumen von geschätzt 400 Euro.“ Rechne man diese Monatsbelastung auf fünf Jahre hoch und beachtet die rund 2.300 Apotheken in ganz Baden-Württemberg, ergebe sich eine enorme Differenz zu den angegebenen 11.195,60 Euro.
„Die Gefahr der Vollabsetzung bereitet unterschwellig Angst und führt zur Verunsicherung. Aus meiner Sicht ist das Risiko der Null-Retaxation die größte psychische Belastung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Apotheken, noch vor dem Risiko einer Falschabgabe“, sagt Gulde und bedankt sich bei Jochen Haußmann für die Einbringung dessen Antrages.
Jochen Haußmann schließt aus den erhaltenen Informationen: „Es besteht dringender politischer Handlungsbedarf, damit Null-Retaxationen gesetzlich ausgeschlossen werden und die Apotheken in Baden-Württemberg finanziell nicht noch weiter belastet werden. Besonders besorgniserregend ist zudem die Entwicklung im ländlichen Raum. Da die Apothekerdichte hier im Vergleich zu den Städten deutlich geringer und die Bevölkerung im Durchschnitt älter ist, sind andere Anforderungen an die Arzneimittelversorgung und –therapie zu beachten. Auch bei der Versorgung mit Kinderarzneimittel ist noch Luft nach oben“, schlussfolgert Jochen Haußmann.