In einer Landtagsdebatte mit dem Titel „Ländlichen Raum nicht ausgrenzen“ sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende und agrarpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion Dr. Friedrich Bullinger:
„Bisher war es politischer Konsens, die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen im ländlichen Raum gegenüber den Ballungszentren zu sichern. In Baden-Württemberg ist dies in der Vergangenheit hervorragend gelungen. Die strukturelle Ausgeglichenheit zwischen ländlichen Räumen und urbanen Zentren ist gegenüber allen anderen Bundesländern ein Alleinstellungsmerkmal. Dank der hervorragenden Strukturpolitik für den ländlichen Raum durch die Vorgängerregierungen haben wir ein Wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Juwel geschaffen, das in Deutschland einzigartig ist. Schon frühzeitig wurde erkannt, dass man in einem High-Tech-Land kein Bauernministerium braucht, sondern ein Ministerium für den ganzen ländlichen Raum. Der ländliche Raum ist Wirtschafts- und Erholungsraum und ein Garant für die Stabilität des ganzen Landes. Der ländliche Raum muss daher im Blickfeld der Landespolitik bleiben. Er ist mehr als eine Ausgleichsfläche für Naturschutz, sondern eine Region mit großer Bedeutung als Wohn- und Wirtschaftsstandort.
Über den Naturschutz und die Landwirtschaft hinaus prägen eine gute Verkehrs- und Infrastruktur, ein breites Bildungsangebot und qualitativ hochwertige Arbeitsplätze die Attraktivität des ländlichen Raums in Baden-Württemberg. Die grün-rote Landesregierung setzt diese Errungenschaften mit ihrer destruktiven Politik aufs Spiel. Die FDP fordert deshalb wieder mehr politisches Engagement zugunsten des ländlichen Raums. Gleiches gilt für die Förderung der Ansiedlung von Firmen. Der ländliche Raum verlangt verlässliche Rahmenbedingungen und keine ideologische Klientelpolitik.
Freizeit, Wohn- und Erholungswerte sind wichtige Faktoren für Standortentscheidungen.
Die strukturellen Entwicklungsaufgaben sind ohne Hilfe im Rahmen der städtebaulichen Erneuerungsprogramme von den Städten und Gemeinden nicht zu bewältigen. Der Mittelstand, die kleinen und mittleren Unternehmen sind Träger des Beschäftigungserfolgs und brauchen weiter die Unterstützung in der Wirtschaftspolitik. Existenzgründungen und Betriebsübernahmen verdienen deshalb im ländlichen Raum besondere Unterstützung.
Ich fordere daher einen Ausbau des ELR-Programms und eine praktikable Handhabung, keine falsch verstandenen ökologischen Behinderungsvorschriften sowie eine Neuauflage und Neuausrichtung des Existenzgründungs und –übernahmeprogramms durch das Rest-Wirtschaftsministerium beim Finanzminister. Die klassische Landwirtschaft trägt den ländlichen Raum mit. Wir brauchen daher auch in Zukunft eine Landbewirtschaftung mit wettbewerbsfähigen Betrieben. Wir dürfen diese nicht nur als Landschaftspfleger für Erholung suchende Großstädter betrachten.
Die FDP tritt ein
– für die Stärkung der Eigenverantwortung statt der Bevormundung von Land- wirten, Handwerkern, Mittelständlern und Gastronomen.
– für weniger Bürokratie statt immer mehr Auflagen,
– für Marktöffnung statt Marktabschottung,
– für Fachlichkeit statt Ideologie,
– für Ökologie und Ökonomie.
Die Zahlen sprechen für sich. Während man in den 70-er Jahren noch von ‚Armenhäusern‘, vom ‚württembergisch-badischen Sibirien‘ sprach, haben wir heute bundesweit die niedrigsten Arbeitslosenzahlen, zum Beispiel in Oberschwaben und in Hohenlohe-Franken.
Durch eine vorausschauende Wirtschafts- und Strukturpolitik, durch ein einmaliges ELR-Programm, durch Städtebausanierungsmaßnahmen, eine Bildungsoffensive mit vielen beruflichen Gymnasien in ländlichen Räumen, mit einem Netz von Hochschul- und Hochschulaußenstellen, insbesondere durch die flächendeckende Einrichtung von dualen Hochschulstandorten und Außenstellen von Fachhochschulen, ist es gelungen, dass Baden-Württemberg einmalig ist und an der Spitze steht.
Infolge der Vernachlässigung des ländlichen Raums durch die neue Landesregierung ist die Attraktivität Baden-Württemberg als Wirtschaftsstandort gefährdet. Wie grün-rote Politik gegen den ländlichen Raum ausschaut, ist zu beobachten bei
1. einer falschen Schulpolitik, die zusammen mit der demographischen Entwicklung nicht kurz-, aber mittel- und langfristig zu einem beschleunigten Schulortsterben auf dem Lande führen wird und damit die Attraktivität der blühenden Gemeinden im Land schädigt. Das ist eine Politik für das Lieblingskind Ganztags- und Einheitsschulen, gegen die anderen Schulformen und vor allem eine Politik auf Kosten der Berufsschulen. Das ist ein Schlag gegen die duale Ausbildung in den ländlichen Räumen.
2. einer Wohnungspolitik, die die Ballungszentren und damit den Trend der Urbanisierung verstärkt. Sie ist gegen den ländlichen Raum gerichtet (Abitur im ländlichen Raum, Studium in der Metropole und keine Rückkehr in den ländlichen Raum).
Wenn Minister Bonde erklärt, dass die Ausweisung neuer Wohngebiete in ländlichen Räumen nicht mehr zeitgemäß sei, legt er Knüppel in den Weg aufstrebender Landgemeinden.
Selbstverständlich gilt Innenentwicklung vor Außenentwicklung, aber attraktive Landgemeinden müssen auch noch wachsen können und Unternehmer, die etwas unternehmen wollen, brauchen Gewerbegebiete.
Die übertriebene Polizeireform der Landesregierung, die wie die entsprechende Reform in Bayern laut Aussage des Präsidenten der Polizeigewerkschaft Bayerns und SPD-Landtagsabgeordneten Schneider ein Flop werden wird, geht ebenfalls auf Kosten der ländlichen Regionen ( z. B. Abbau Polizeischule Wertheim).
Verkehrsadern sind Lebensadern. Dies stellt die Entwicklung in den letzten 30 Jahren z.B. entlang der A 6 zwischen Heilbronn und Nürnberg eindrücklich dar. Wer eine Verkehrspolitik wie der Verkehrsverhinderungsminister Hermann betreibt, bis hin zur Ausdünnung des Schienen-Personen-Verkehrs, schwächt und schadet der ländlichen Entwicklung.
Die Chancen des ländlichen Raums durch die Energiewende sind sehr gut, sie dürfen allerdings nicht übers Knie gebrochen werden. Mit seinen Schnellschüssen bei der Windkraftpoli-tik in Baden-Württemberg missbraucht der Energieminister den ländlichen Raum und schadet dem Erholungs- und Tourismusland Baden-Württemberg. Ja zur Windenergie, aber bitte in Form von Windparks und besser abgestimmt mit Möglichkeiten der Energiespeicherung. Nicht wie jetzt, wo man versucht, die Bürgermeister gegenseitig auszuspielen, um schnell eine Effekthascherei für grüne Argumente zu finden.
Die FDP-Landtagsfraktion fordert eine Beendigung der Politik gegen den ländlichen Raum. Ich wiederhole meine Forderung bei der Landespressekonferenz vom 23. August 2012, dass die Landesregierung im Staatsministerium eine Stabsstelle für die Querschnittsaufgaben zur Entwicklung und Sicherung der Attraktivität des ländlichen Raums in Baden-Württemberg einrichten soll. Wir brauchen dazu keine neuen Personalstellen, sondern hochqualifizierte Mitarbeiter aus den betroffenen Ministerien, die ein Gesamtkonzept erstellen und die Einzel-ressorts so koordinieren, dass die bisherige erfolgreiche Politik für den ländlichen Raum endlich fortgeführt wird. Politik für den ländlichen Raum muss Chefsache werden, Herr Ministerpräsident Kretschmann.“