Rülke und Kern: Nur mit verbindlicher Grundschulempfehlung wird die Bildungsqualität wieder steigen
Mit dem Positionspapier wollen wir Freie Demokraten alle Fakten auf den Tisch legen – und beziehen dabei explizit die Praktikerinnen und Praktiker sowie Wissenschaft mit ein.
Der Fraktionsvorsitzende der FDP/DVP-Landtagsfraktion, Dr. Hans-Ulrich Rülke, sowie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und bildungspolitische Sprecher, Dr. Timm Kern, stellten heute im Rahmen einer Landespressekonferenz das Positionspapier „Beste Bildung für jede Begabung: Mit der verbindlichen Grundschulempfehlung die passende Schulart für jedes Kind“ vor. Ebenso waren hierzu vonseiten der Lehrerverbände Dr. Karin Broszat, Landesvorsitzende des Realschullehrerverbands (RLV), sowie vonseiten der Wissenschaft Prof. Hartmut Esser, Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim, eingeladen.
Dr. Rülke kommentiert wie folgt:
„Wenn man die letzten zwölf Jahre bildungspolitisch Revue passieren lässt, kommt man beim Zählen grüner Fehlentscheidungen gar nicht hinterher. Eines kann man jedoch zweifellos feststellen: Die Ursünde grüner bildungspolitischer Fehlentscheidungen war die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung im Jahr 2012. Sie öffnete dem Chaos an den Schulen, das wir heute haben, Tür und Tor. Seitdem ist die Bildungsqualität in Baden-Württemberg ins Bodenlose abgestürzt. Belegten wir noch bis 2011 – unter schwarz-gelber Führung – Spitzenplätze im Bundesländervergleich, sind wir laut diesjährigem Dynamikranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft im Zehn-Jahres-Vergleich auf dem allerletzten Platz 16 der Länder angekommen.
Das Schlimme: Dieser beispiellose Absturz der Bildungsqualität hierzulande war absehbar. Man hatte weder die Lehrkräfte befragt, noch die Wissenschaft miteinbezogen. Stattdessen hat man die eigene grüne Ideologie über alle Fakten gestellt und dann nach Gutdünken entschieden. Die Leidtragenden waren und sind nach wie vor die Kinder, die Lehrkräfte und unsere Gesellschaft im Ganzen, denn diese muss seitdem mit den zahlreichen zerstörten Bildungsbiografien von überforderten Kindern umgehen. Deshalb brauchen wir jetzt eine bildungspolitische Trendwende. Wir müssen uns wieder an den Bundesländern orientieren, die in der Bildungsliga ganz oben mitspielen. Gerade die Länder an der Bildungsspitze – Bayern und Thüringen – haben eine verbindliche Grundschulempfehlung. Es ist nun an der Zeit, Ideologiegetriebenheit durch Vernunft zu ersetzen und die verbindliche Grundschulempfehlung in Baden-Württemberg wiedereinzuführen. Diese Maßnahme wirkt nicht nur umgehend, sondern ist auch noch völlig kostenneutral. Es kann nämlich in Baden-Württemberg keinem erklärt werden, wie wir wirtschaftlich in der Champions-League spielen wollen, uns aber bei der Bildung, die hierzu das Fundament legt, mit Kreisliganiveau zufriedengeben.“
Hier fügt Dr. Kern hinzu:
„Wir dürfen bei sämtlichen bildungspolitischen Diskussion nie vergessen, dass immer unsere Kinder im Mittelpunkt stehen. Laut Artikel 11 der baden-württembergischen Landesverfassung hat jedes Kind einen Anspruch auf eine Bildung, die die jeweiligen Begabungen bestmöglich fördert. Das ist keine Kann-Bestimmung, sondern ein landesverfassungsmäßig verbrieftes Recht. Seit der Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung gehen viel zu viele Kinder an die für sie falsche Schulart – mit fatalen Konsequenzen: Sitzenbleiberquoten, besonders an den Realschulen und Gymnasien, die in die Höhe geschossen sind und seitdem auf hohem Niveau verbleiben. Überforderte Kinder, die jahrelang demotiviert werden. Lehrkräfte, die zu permanenten Überbringern von Hiobsbotschaften wurden. Alle diese Probleme ließen sich mit unserer jahrelangen Forderung nach Wiedereinführung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung sofort lösen.“
Von Seiten der Praktikerinnen und Praktikern an den Schulen – den Lehrkräften – ergänzt Dr. Broszat:
„Seit Jahren erleben wir in Baden-Württemberg eine Schulpolitik fernab jeder Schulrealität! Darunter leiden alle Beteiligten, besonders die Kinder. Die fortwährend kräftezehrende Beschäftigung mit Zweit- und Drittproblemen soll das eigentliche Hauptproblem vertuschen – dies zu tun ist seit 2012 die einzige Agenda der Verantwortlichen! Umfragen bei Lehrkräften mit sehr deutlichen Ergebnissen werden übergangen, Studien ignoriert, Bildungsvergleiche regelmäßig mit austauschbaren Floskeln kommentiert.
Ein leistungsstarkes, differenziertes Schulsystem für unsere unterschiedlichen Kinder braucht eine gewissenhafte Regelung der Übergänge in weiterführende Schulen und verträgt keine Beliebigkeit. Ein Übergang auf Basis einer verbindlichen Grundschulempfehlung, die das einzelne Kind umfassend betrachtet und der gleichzeitig mit Leistungskriterien unterlegt ist, ist die beste und gerechteste Voraussetzung, Kinder an der weiterführenden Schule entsprechend ihrer Begabungen und Leistungsmöglichkeiten optimal zu fordern. Baden-Württemberg kann sich nicht leisten, Jahr für Jahr den Bildungserfolg vieler Kinder regelrecht zu behindern.
Der Vorschlag aus dem Kultusministerium, die Eltern (ohne Verbindlichkeit) noch mehr, noch intensiver und noch qualifizierter zu beraten, kann von Lehrkräften nur als Hohn empfunden werden: An allen Schularten hat die Beratungsarbeit seit Abschaffung der Verbindlichkeit extrem zugenommen. Dadurch wurde die ohnehin hohe Arbeitsbelastung der Pädagogen zusätzlich enorm vergrößert: Extrem viel Aufwand gänzlich ohne Nutzen!“
Von wissenschaftlicher Seite nimmt Prof. Esser wie folgt Stellung:
„Die Abschaffung der Verbindlichkeit in Baden-Württemberg wurde insbesondere damit begründet, dass mit der Freigabe der Schulwahl beim Übergang in die Sekundarstufe der Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg verringert oder gar ganz beseitigt werde. Dagegen gab es damals schon starke Zweifel: Die Freigabe der Wahl würden vor allem die Eltern aus den oberen Schichten nutzen, und es würde sich bestenfalls nichts ändern. Das bestätigte sich dann in entsprechenden Untersuchungen, gerade auch schon in der Zeit vor der Umstellung. Stattdessen wurden deutliche Hinweise darauf gefunden, dass mit der Verbindlichkeit die Kopplung des Übergangs an die Fähigkeiten und Leistungen zunimmt, was ja das Ziel der Differenzierung sein sollte. Insbesondere aber zeigt sich, dass mit der Verbindlichkeit die Anreize für Anstrengungen der Kinder zu besseren Leistungen schon in der Grundschule zunehmen und dass bereits vor dem Übergang zu höheren Leistungen führt. Hinzu kommt, dass die Eltern sich dann früh schon mehr um die Leistungen der Kinder kümmern und allgemein ein stärkeres Interesse an schulischen Angelegenheiten zeigen. Das ist inzwischen in einer ganzen Reihe von Untersuchungen belegt. Das Fehlen bzw. die Abschaffung der Verbindlichkeit kann damit als einer der Hauptfaktoren für das schlechtere Abschneiden von Baden-Württemberg in den entsprechenden Vergleichen, wie den IQB-Berichten oder beim Bildungsmonitor, angesehen werden, während die Bundesländer Sachsen und Bayern mit ihren nach wie vor strikten Regelungen noch 2018, bei dem letzten PISA-Vergleich, gleich oder sogar besser waren als Finnland und Schweden. Allgemein ist es die mit der Abschaffung dokumentierte Schwächung der Positionierung der Schule und des Lehrpersonals, die dafür sorgt. In Finnland, dem immer wieder genannten Paradebeispiel, sind das hohe Prestige des Lehrerberufs und die starke öffentliche Unterstützung der Schulen der Hauptgrund für die immer noch besondere Stellung in den Vergleichen.“
Das aktuelle Positionspapier der Fraktion dazu finden Sie hier: